Herr Karl
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DER HERR KARL     >>

Der Herr Karl ist ein knapp einstündiger Monolog, zwischen Theaterstück und Kabarett angesiedelt, der 1961 von Helmut Qualtinger und Carl Merz geschrieben wurde. Das Ein-Personen-Stück, das zunächst mit Qualtinger als Darsteller für das österreichische Fernsehen verfilmt und anschließend auf zahlreichen Bühnen aufgeführt wurde, sorgte in Österreich für heftige Kontroversen.

Der Herr Karl, im Keller seines Delikatessengeschäfts sitzend, erzählt seine Lebensgeschichte. Dabei entpuppt sich der Erzähler zunehmend als opportunistischer Mitläufer aus dem kleinbürgerlichen Milieu, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzung durch die Alliierten (1955) mittels fortwährender Anpassung durchs Leben geschwindelt hat.

Als repräsentativer Kleinbürger verkörpert er sozusagen die Stimme des Volkes. Äußerlich erscheint der Herr Karl als netter, ehrlicher, aber naiver Kerl mit liebem, treuherzigen Blick. Doch nach und nach zeigt sich die wahre Fratze hinter einer Fassade der Gemütlichkeit. Als 1934 die klerikalfaschistische Diktatur errichtet wurde, wird Herr Karl, der bis dato Sozialist gewesen ist, zu einem Anhänger der herrschenden Christlichsozialen. Nach dem Einmarsch der Nazis 1938 wechselt er sofort in dieses politische Lager, nach 1945 dient er sich den Besatzungsmächten an.

Der Opportunist Herr Karl nützt jedoch nicht nur die Anpassung seiner politischen Meinung an die Masse, um Vorteile zu erlangen. Sein Egoismus zieht sich durch sein gesamtes Leben. Er selbst schätzt sich als „Mann von Welt“ ein, der Zuschauer lernt ihn aufgrund des Verhaltens gegenüber seinen Mitmenschen als skrupellosen Profiteur, Drückeberger und Anpasser kennen. Seine Kaltherzigkeit erlaubt es ihm, andere Leute auszunützen und keine Gelegenheit auszulassen, aus der er Nutzen für sich ziehen konnte.

Helmut Qualtinger („Quasi“) und Carl Merz haben mit ihrem Herrn Karl den Durchschnittsbürger als Mittäter entlarvt und dargestellt. Aber ungeachtet seiner Züge ist der Herr Karl beinahe sympathisch und gerade kein Antiheld. Damit steht das Drama durchaus im Bezug zur These von der „Banalität des Bösen“, wie sie Hannah Arendt aufgestellt hat. Quelle (Auszüge): Wikipedia

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Artikel der NZZ vom 6.11.2003 zur Ausstellung im Wien Museum ‚Quasi ein Genie‘

Heiliger Helmut, hilf!

Österreich ehrt den Schauspieler Helmut Qualtinger
Als hätte sich die ordinäre Bosheit den Rang der Exekutivgewalt erschlichen, ist Karl ein «Herr». «Der Herr Karl», von Helmut Qualtinger 1961 zum ersten Mal gespielt, ist unterwürfig und herablassend zugleich, in ihm schlummert eine gemütliche Gewaltbereitschaft, die nur auf den passenden Anlass wartet. So hat sich der auf realen Vorbildern gründende Ladengehilfe durch die Wechselfälle der österreichischen Geschichte gemogelt und getreten. In seinem Monolog erzählt er davon in freimütiger Nonchalance. Ein Skandal, wie gerne behauptet wird, war die Uraufführung des von Qualtinger gemeinsam mit Carl Merz geschriebenen Stückes nicht. Das Spiegelbild für alle, die nach dem Krieg guten Gewissens Österreicher waren, hat pädagogisch seine Wirkung aber dennoch getan. Die Schlechtigkeiten des «Herrn Karl» sind längst bester österreichischer Zitatenschatz.

1986 ist der Kabarettist, Schriftsteller, Schauspieler und Rezitator Helmut Qualtinger gestorben. Jetzt, zum 75. Geburtstag, nennt man ihn ein «Phänomen». Der Ausdruck steht für alle gescheiterten Versuche, den Wiener Schauspieler zu fassen. «Quasi» hiess Qualtinger unter Freunden, und «quasi» ist auch wieder nur ein Wort der Unverbindlichkeit. «Quasi ein Genie» nennt das Wien Museum am Karlsplatz den Versuch einer Annäherung, der naturgemäss sein Ziel verfehlen muss. Wer war Helmut Qualtinger, den man in Wien postum jetzt überall hochleben lässt? In der Ausstellung im Wien Museum gibt es ein Stimmengewirr, das von Qualtingers Rollen und seinem Klassiker des Anti-Wienerlieds kommt. «Der g’schupfte Ferdl» und «Der Wilde auf seiner Maschin’» handeln von der Conditio humana der Wiener Randbezirke und treffen doch ins österreichische Herz.

In den fünfziger Jahren hat Helmut Qualtinger mit Michael Kehlmann, Carl Merz und Gerhard Bronner bejubeltes Kabarett gemacht und den Bassena-Nihilisten «Travnicek» erfunden. 1962 war dann Schluss. Der scharfe Witz des Kabaretts werde nur noch «weggelacht», meinten Qualtinger und Konsorten, nicht ahnend, welche Eingemeindungen noch folgen sollten. Schnell ist Qualtinger in Österreich zum Popstar des Kabaretts geworden, und er ist es heute noch. Daran muss nichts Schlechtes sein, überhaupt weil der «Menschenimitator» Helmut Qualtinger bis zu seinem Tod 1986 eine abschweifende Geradlinigkeit an den Tag gelegt hat, durch die sich heute Thomas Bernhard mit Karl Kraus lesen lässt, wenn die Spuren nicht überhaupt bis zu Elfriede Jelinek führen. «Es ist ein gutes Land», steht auf einer Qualtinger-Plattenhülle aus dem Jahr 1972. Vor der Kulisse der ewigen österreichischen Bergwelt liegen Totenschädel.

Das Wien Museum unternimmt den tapferen Versuch, alle Komponenten von Qualtingers Lebenswerk zu präsentieren. Der «Herr Karl» läuft in einem Sechziger-Jahre-Wohnzimmer über den Bildschirm, etliche Tonbeispiele würdigen den «Sprechsteller» Helmut Qualtinger, der die Grimassen des Bösen mit seiner Stimme moduliert. Fotografien zeigen Qualtingers Charakterkopf, den er den Charakterlosen immer wieder aufgesetzt hat. Biografisch führt die Ausstellung vom blond gelockten, engelhaften Knaben durch «Dicker-Helmut-Jahre», in denen unsägliche Heimatfilme entstanden sind, bis herauf in einen kräfteraubenden Untergang. Legendär ist Helmut Qualtinger als Kaffeehausbesucher. Im «Gutruf», das die Ausstellung nachbaut, ist er Stammgast, und auch sonst ein ambulanter Trinker von Graden. Einen Prater stellt die Ausstellung Helmut Qualtinger noch hin, weil dort das wienerische Menschenpanoptikum zur Hochform aufläuft. Der Schauspieler jedenfalls war gerne dort. Sehr viel besser, als es das Wien Museum macht, kann man Helmut Qualtinger nicht präsentieren. Man zeigt den Zerrissenen ganz. Und darin liegt auch schon der Widerspruch. Leben und Werk Helmut Qualtingers sind nicht nur fragmentarisch geblieben, sondern haben aus dem Provisorischen die luzidesten Momente gezogen. Aus Gesten, einer minimalistischen Mimik und kaum merklichen Veränderungen der Stimme setzt Helmut Qualtinger sein Bestiarium zusammen. In Jahrzehnten erarbeitet Qualtingers Theater immer wieder die Nuancen des Österreichischen, bis sie auf grausame Art stimmen. Die inneren Widersprüche des Urwieners Helmut Qualtinger sind über all dem wohl unauflösbar geblieben. Qualtingers Körper war gröber als er selbst. Als wäre er ein Kostüm aus Fleisch und Blut für all die Rollen – die schlechten Menschen, Scharfrichter und Krisengewinnler -, die Helmut Qualtinger in seinem Leben gespielt hat.

Der Schauspieler und Rezitator Qualtinger war alles in einer Person: eine ganze k. u. k. Menagerie belfernder Kriegshetzer aus Karl Kraus‘ «Die letzten Tage der Menschheit», die böse Stimme zu Peter Hammerschlags «Krüppellied», ein Grossbauer in Peter Turrinis «Alpensaga» oder die Braunauer Hausmeisterstimme aus «Mein Kampf». Immer wieder hat Helmut Qualtinger aus «Mein Kampf» gelesen, zum ersten Mal in den siebziger Jahren am Hamburger Thalia-Theater. Mit existenzieller Bösartigkeit spielt er den Fleischhauer Oskar in Horváths «Geschichten aus dem Wienerwald». Bei niemandem sonst klang selbst die Zuneigung so sehr nach tödlichem Abgrund: «Du wirst meiner Liebe nicht entgehen.» Der postumen Liebe seiner zahllosen Fans kann der Österreich-Darsteller kaum entkommen. Wer ihn je gesehen hat, nennt ihn heute einen Freund, die anderen schwingen den Weihrauch der Verehrung über seinem Charakterschädel. Helmut Qualtinger ist eine Legende. Den «Herrn Karl» hat man ihm verziehen, weil man sich selbst verzeiht. Heiliger Helmut, hilf!

Paul Jandl